Rechtsextremismus und islamisch begründeten Extremismus gemeinsam in den Blick zu nehmen beziehungsweise auszuloten, inwiefern Erkenntnisse der Rechtsextremismusprävention auch für die Prävention von islamisch begründeten Extremismus fruchtbar gemacht werden können, hat in den letzten Jahren verschiedene Akteur*innen der Präventionsarbeit und Forscher*innen beschäftigt. Dabei lassen sich unterschiedliche Ansätze des phänomenübergreifenden Arbeitens finden, die teilweise auch in die Kritik geraten sind – so etwa dafür, dass unter dem Stichwort „phänomenübergreifend“ die sogenannte Hufeisentheorie über extremistische Ränder der Gesellschaft wieder auftaucht. Ebenso wurde aber auch angemerkt, dass viele phänomenübergreifende Projekte tatsächliche Ansätze für die pädagogische Praxis schuldig bleiben.

Warum phänomenübergreifend?

Cultures Interactive arbeitet aus folgenden Gründen mit einer phänomenübergreifenden Perspektive:

  • Beim phänomenübergreifenden Arbeiten können Zielgruppenstigmatisierungen und Zuschreibungen (Prävention von islamisch begründeten Extremismus fokussiert auf Berlin-Neukölln – Rechtsextremismusprävention findet vor allem im ländlichen Raum Ostdeutschlands statt) vermieden werden.
  • Beide Phänomene wirken im Diskurs als wechselseitiger Verstärker: So werden islamistische Anschläge vom rechtsextremen Lager propagandistisch genutzt und umgekehrt. Dabei lassen sich häufig ähnliche Medienstrategien bis hin zu der Verwendung von ähnlichen Bildmaterial, Memes und Codes finden. In der phänomenübergreifenden Prävention können solche Verbindungen deutlich gemacht und Analogien aufgezeigt werden.
  • Auch in Workshops mit Jugendlichen zeigt sich, dass in einer Klasse oder Schule häufig verschiedene Phänomene (etwa verschiedene Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus oder islamisch begründeter Extremismus) zu finden sind und sich auch hier wechselseitig verstärken.
  • Auch inhaltlich bestehen Überschneidungen in beiden Ideologien, die zudem für weite Teile der Gesellschaft anschlussfähig sind.

Gemeinsamkeiten von Rechtsextremismus und islamisch begründetem Extremismus

Bei beiden Phänomenen handelt es sich um Krisendiagnosen. Das bedeutet allerdings nicht, dass ihrer Verbreitung immer tatsächliche gesellschaftliche Krisen zugrunde liegen müssen. Es kann sich auch um empfundene Krisen und Verluste handeln, so etwa, wenn die extreme Rechte einen „großen Austausch“ der Bevölkerung oder den Zerfall der Familie imaginiert. So war die Entstehung des Islamismus eine Reaktion auf den (empfundenen) Macht- und Bedeutungsverlust der islamischen Welt nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und mit dem Wunsch verbunden, dass die islamische Welt durch eine „Rückkehr zum wahren Islam“ wieder an Macht gewinnen sollte. Diese Auffassung wurde ab 1979 durch die Iranische Revolution und den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan verstärkt. Der Nationalsozialismus in Deutschland und der Faschismus in Italien verstanden sich wiederum selbst als Reaktion auf den Machtverlust und die als Demütigung erlebten Erfahrungen im Ersten Weltkrieges.

Beide Phänomene zeichnen sich außerdem durch eine Ablehnung pluraler Gesellschaften aus. Im Rechtsextremismus wie im Islamismus wird die Vorstellung einer Gesellschaft, in der verschiedene Lebensentwürfe nebeneinanderstehen und die gleichen Rechte erfahren, abgelehnt. In der Entwicklung diverser Lebensweisen und heterogener Gesellschaften sehen sie primär eine Gefahr, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht.

Im Rechtsextremismus wie im Islamismus gelten zudem traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen als Ideal. Feminismus, Gendergerechtigkeit sowie Homo- und Transsexualität werden von beiden Strömungen vehement abgelehnt. Beide thematisieren zudem soziale Ungleichheit, zum einen durch kapitalismuskritische Positionen, aber zum Teil auch durch eine ostentative Ablehnung von Statussymbolen oder Markenkleidung.

Darüber hinaus stellen Verschwörungstheorien und Antisemitismus eine Gemeinsamkeit dar. So bezogen sich zum Beispiel die islamistischen Attentäter der Anschläge in Paris aus dem Jahr 2015 ebenso wie die Täter der rechtsterroristischen Anschläge in Halle (Saale) und Hanau in den Jahren 2019 und 2020 auf (antisemitische) Verschwörungstheorien und glaubten an eine Kontrolle der Welt durch (jüdische) Geheimbünde. Viele dieser Positionen sind durchaus anschlussfähig an Diskussionen der Mehrheitsgesellschaft, weshalb es wichtig ist, ihnen in der Präventionsarbeit besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Ein Unterschied: die Adressat*innen

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Islamismus bezieht sich auf die Adressat*innen: Wo rechtsextreme Gruppen an Patriotismus, die Nation und das Abendland appellieren und damit an völkische und rassistische Ideen anknüpfen, beschwören Vertreter*innen des islamisch begründeten Extremismus die Ummah, die Gemeinschaft aller Musliminnen und Muslime, in der es keinen Rassismus gebe und nur zähle, zur „wahren Religion“ gefunden zu haben – welche wiederum allerdings sehr ausschließend konzipiert wird. Ob Jugendliche sich eher von dem einen oder anderen Phänomen angesprochen fühlen, hängt daher vor allem davon ab, mit welchen Ängsten und Unsicherheiten sie eher zu kämpfen haben und welche der beiden Krisendiagnosen sie mehr anspricht.

Hinwendungsmotive von Jugendlichen

Für Jugendliche können beide Spektren jeweils Identifikations- und Aufwertungsangebote bieten, in denen die eigene Aufwertung jedoch immer mit der Abwertung anderer Menschen(gruppen) verbunden ist.

Häufig wird in der Prävention und Jugendarbeit die Frage gestellt, was Rechtsextremismus und Islamismus ausgerechnet für junge Menschen so attraktiv macht, angesichts strenger Regeln, klarer Hierarchien und archaisch anmutender Gesellschaftsvorstellungen. Doch gerade dass jugendlicher Ausdruck und die Entscheidung für den Islamismus oder Rechtsextremismus von Erwachsenen in der Szene eben nicht als „Phase“ verstanden wird, dürfte viele Jugendliche ansprechen: Denn mit allen – durchaus schrecklichen – Konsequenzen nehmen diese Erwachsenen sie hier voll ernst, verpflichten sie auf ihre Entscheidung und messen damit den Jugendlichen als Verbündete der Sache eine hohe Bedeutung bei.

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