Distanzierungsarbeit unterstützt (junge) Menschen darin, von Haltungen Abstand zu nehmen, die menschenrechts- und demokratie­feindlich sind, bestimmte soziale Gruppen entwerten oder sogenannte extremistische Ansichten enthalten. Hierbei mag es sich um rassistisch akzentuierte, antisemitische oder um weltan­schaulich beziehungsweise religiös bergründete Denk- und Handlungs­muster handeln, generell aber um solche, die Aspekte von Gruppen­bezogener Menschen­feindlichkeit oder „Pauschalisierende Abwertungs­konstruktionen“ (PAKO) bzw. Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen aufweisen – und insgesamt individuelle Freiheit und soziale Vielfalt geringschätzen. Hierbei spielen Gender- und sexualitäts­bezogene Entwertungen in unterschied­lichsten Ideologien oft eine besondere Rolle.

Sich lösen von Weltanschauungen der Ungleichwertigkeit und Demokratiefeindlichkeit

Gerade Jugendliche, die dahingehend an Schulen oder in Jugendklubs auffallen, können möglichst früh aufsuchend angesprochen und zu persönlichen Veränderungs­prozessen animiert werden. Bei ihnen zeigt sich oft auf emotionaler Ebene eine Neigung zu Ressentiments, Antipathie und hass­geprägten Affekten, während auf kognitiver Ebene eine Empfänglichkeit für Verschwörungs­theorien besteht. Ihre sozialen Beziehungs­gefüge sind im Innenverhältnis nicht selten von Abhängigkeit und Übergriffen gekennzeichnet, wohingegen im Außenverhältnis zu Out-Groups Feindlichkeit und Entwertung vorherrschen. Häufig liegt individuell eine Reihe von psychosozialen Herausforderungen vor, die die Bereiche Schule/Ausbildung, Familie, Delinquenz/Straf­verfolgung, (mentale) Gesundheit/Substanz­missbrauch und andere betreffen – und die in gesellschaftlicher Hinsicht mit Heraus­forderungen der soziökonomischen Ungleichheit und des gesellschaft­lichen Zusammen­halts im Gemein­wesen zusammenhängen.

Hohe Standards der Qualität und Professionalität

Für gute Praxis in Distanzierungs­arbeit gilt: Je früher und systemischer die Maßnahmen ansetzen, zum Beispiel angebunden an Schule sowie Jugend- und Familienhilfe, desto besser. Denn die biografischen und lebensräum­lichen Ursachen bestehen kontinuierlich fort – und müssen deshalb proaktiv einbezogen werden. Der wichtigste Wirkfaktor besteht im Aufbau einer langfristig tragfähigen und vertrauens­vollen Arbeits­beziehung, zumal die betreffenden Jugendlichen oft von Erfahrungen des Beziehungs­abbruchs sowie von Misstrauen, Furcht und Kontrollverlust geprägt sind. Dies erfolgt durch eine Grundhaltung der persönlichen Zugewandtheit, Aufrichtigkeit, kontaktbereiten Kritik und Transparenz, ferner durch ein individuell angepasstes, bedürfnis- und lösungsorientiertes Vorgehen – und vor allem durch die unverbrüchliche Verschwiegen­heit im Umgang mit allen persönlichen Daten. Das Vorgehen ist grundsätzlich prozess- und ergebnisoffen, basiert aber stets auf individuellen Ziel­vereinbarungen.

Die ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Themen im engeren Sinn werden fürs erste hintangestellt. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf beziehungs­gestützter, vertrauens­basierter (Nach)Entwicklung und lebens­geschichtlicher Selbstreflexion. In kritisch-zugewandter Haltung und im narrativen Dialogmodus – des fragend-erzählenden Gesprächs – werden vor allem die persönlichen und sozialweltlichen Erfahrungen der Jugendlichen erarbeitet (zum Beispiel durch Biographie­arbeit, Dilemmafragen, variable Gruppen­settings, gemeinsame Aufstellungen und anderes).

Somit wird mittels intensiv­pädagogischer politischer Bildung soziale und emotionale Intelligenz gefördert, erfahrungs­gemäß vor allem in den Affekt­bereichen Angst, Aggression, Schuld und Scham – und in den individuellen Mustern der emotionalen Regulation des Selbst und der eigenen Beziehungen. Hierbei erfährt die Person als solche stets Wertschätzung. Gleichzeitig können menschenfeindliche oder ungleichwertigkeits-ideologische Haltungen umso leichter konfrontiert werden, das heißt in respektvoller und begründeter Weise befragt werden, weil deren persönlichen Zusammen­hänge bereits erkennbar geworden sind. Umso mehr muss die Teilnahme an Distanzierungs­arbeit freiwillig und eigenmotiviert erfolgen beziehungsweise es muss – vor allem bei Überweisungen aus staatlichen Institutionen – zuerst die Motivation zur persönliche Veränderung unterstützt werden.

Gute Praxis in der staatlichen Programmgestaltung

Für einen guten institutionellen Rahmen ist eine phänomen­übergreifende Perspektive auf alle Formen von Demokratie- und Menschen­feindlichkeit wichtig, die auch Stigmatisierungen von bestimmten Klient*innen-Gruppen vermeidet. Ferner ist im wünschenswerten Zusammen­wirken mit staatlichen (Sicherheits)­Behörden eine vollkommen unverbrüchliche Verschwiegen­heit über persönliche Angaben essenziell, ebenso wie die Zurückweisung aller Tendenzen zur ‚Versicherheitlichung‘. Deshalb kann Distanzierungs­arbeit im Grunde nur von unabhängigen, zivil­gesellschaftlich verfassten Fachkräften praktiziert werden, die nicht behördlich weisungsgebunden sind.  

Für die nachhaltige Umsetzung von aufsuchender Distanzierungs­arbeit ist letztlich die gute Einbettung und Verknüpfung mit den kommunalen Regel­strukturen – Schule/Schulsozial­arbeit, Jugend­arbeit, soziale Dienste, örtliche Zivil­gesellschaft und anderen – erforderlich. Denn nur so können die jungen Menschen unmittelbar vor Ort erreicht und gleichzeitig immer auch das soziale Umfeld der Kommune mit einbezogen und entwickelt werden.

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