Chats, narrativ!
In (Gaming)Chats narrativ mitreden – und (Selbst)Hass abwenden
Chatverläufe, die von gewaltsamen und antidemokratischen Akzenten bestimmt sind – sei es auf Social Media-Kanälen, Messengern, auf Discord-Servern, Gaming-Portalen oder in Spielen – und in denen verächtlich über Personen(gruppen) gesprochen wird, sind oft bestürzend und machen hilflos. Mitunter trifft man auf unverbrämten Zynismus und Häme, wobei sich diese nicht selten auch mit Depression und großen Selbstzweifeln mischen.
So postet z.B. der Chat-Teilnehmer F auf dem Portal Steam ein Bild von einem Paar, das gemeinsam einen Film über Hitler ansieht, und klagt: „Warum kann ich die richtige Frau dafür nicht finden?“, worauf Teilnehmer X ihm entgegnet: „Weil du hässlich bist, nehme ich an“, quittiert von einem: „Hurensohn“ durch F; und zuletzt korrigiert Teilnehmer P: „Weil alle Huren sind außer Mama, ist die richtige Antwort!“.
Solidarischen und demokratisch motivierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen Respekt und Fairness wichtig sind, fällt es hier nicht leicht, in günstiger Weise zu reagieren, ohne sich selbst zur Zielscheibe zu machen, an ihre Grenzen zu kommen oder/und aus dem Chat ausgeschlossen zu werden. Und professionellen politische Bilder*innen geht es erfahrungsgemäß nicht anders. Zumal die Teilnehmer/*innen ihren (geschlossenen) Chat-Raum berechtigtermaßen als einen quasi-privaten Bereich beanspruchen.
Jenseits von Moral und Argumentation gute Wirkung haben
Zugleich bieten diese digitalen Lebensräume gute Möglichkeiten für gelungene Interventionen der aufsuchenden politischen Bildung. Jedoch greifen sogenannte Gegen-Narrative und argumentative oder moralisierende Ansprachen hier oft zu kurz – haben sich die Akteure diese Räume doch vor allem deshalb geschaffen, um den von ihnen so bezeichneten „Social Justice Warriors“ und „Snowflakes“ zu entkommen. Diese pädagogischen Ansprachen verstärken nicht selten sogar die Hinwendungsprozesse zu zynischen Lebenshaltungen.
Unterstützung lässt sich hier von einer neuen Dialog-Methodik erhalten, die einem Offline-Verfahren – den ‚Narrativen Gesprächsgruppen‘ mit Schüler*innen – entlehnt ist. Hierbei handelt es sich um einen Modus des Gesprächs, der stets freundlich bezogen, interessiert nachfragend, tendenziell nicht-argumentativ, aber auch dosiert abgrenzungs- und impulsbereit ist. Dieses Vorgehen stößt gedanklich-emotionale Einsichten an und erzeugt prosoziale gruppendynamische Wirkungen – und zwar jenseits von unmittelbarer Konfrontation, moralischem Appell und erfolgsorientierter Überzeugungsarbeit.
An Schulen war diese interaktive Dialog-Methodik in Gesprächsgruppen darin erfolgreich, auch schwer ansprechbare oder rechtsextrem affine Jugendliche zu erreichen. Dies liegt in der Natur des menschlichen Erzählens begründet: Wer erzählt, verachtet nicht – weder andere noch sich selbst. Denn immerhin in Momenten des Erzählens, auch wenn sie nur Halbsätze dauern, herrscht Frieden.
Potenziale der partizipativen, aufsuchenden politischen Bildung im Peer-Verfahren
Dabei ist das Potenzial des immens großen Lebensraums Online-Chat sogar ein zweifaches: Diejenigen Gruppen, die in destruktiven Chat-Kulturen befangen sind, können direkt an ihrem digitalen Ort erreicht werden. Dort können Einzelne und Gruppen (kleine) Impulse des Nachdenkens – und Nach-Spürens – erhalten, welche die üblichen Muster des menschenfeindlichen (und selbstschädigenden) Agierens übersteigen.
Und jene anderen User*innen, die moderat und menschenrechtlich eingestellt sind, sich aber hilflos fühlen, können methodisch qualifiziert und ermutigt werden, sich in günstiger und wirksamer Weise einzumischen, ohne dabei in unfruchtbare Eskalation zu geraten – und so eine neue und zukunftsfähige politische Kultur leben.
Maßnahmen in „Chats, narrativ!“
Zusammen mit Expert*innen aus den Bereichen Social Media und Gaming sowie Praktizierenden aus narrativ-beziehungsbildenden pädagogischen Verfahren wird das Projekt „Chats, narrativ!“ nachhaltige Dialogformen und Verhaltensweisen ermitteln, die in belasteten Chat-Räumen prosoziale, menschenrechtliche Einstellungen anregen und unterstützen. Hierzu wird ein Chat-Dialog-Team, in Kooperation mit einer Fachhochschule für Sozialarbeit, verschiedene Dialogformen in unterschiedlichen natürlichen Chat-Gruppen auf diversen Portalen erproben.
Eine Analyse von dialogischen Wirkfaktoren und Sammlung von einschlägigen Chat-Passagen, samt Optionen der Chat-Kommunikation und Erstreaktion, wird für Trainings- und Fortbildungszwecke als Handreichung angelegt. Ferner soll ein Fortbildungs- und Weiterbildungskonzept entstehen, mittels dessen Praktizierende für ein engagiertes, aber sensibel dosiertes „Mitreden“ qualifiziert werden. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene sind angesprochen.
Hierauf aufbauend lassen sich Trainings des aufsuchenden/informellen Online-Engagements für Jugendliche/Schüler*innen im Peer-Verfahren einrichten, die auch im Rahmen des Erziehungsauftrags von Schulen ihren Platz haben können. Sie würden Jugendliche ermuntern, vorbereiten und darin begleiten, sich in Online-Welten auf proaktive, aber besonnene Weise in dialogisch-menschenrechtlicher Perspektive zu beteiligen. Kontaktaufnahme und Advocacy in der Social Media- und Gaming-Industrie sowie bei Landesbildungsministerien werben für die Finanzierung einer modellhaften Erprobung der Fortbildung mit Schüler*innen aus Oberstufen – und streben die bildungspolitische Verstetigung an.
Projektlaufzeit
1. Januar 2025 – 31. Dezember 2025
Förderung
