Rechtsextremismus und die Gewalt, die von ihm ausgeht, hinterlassen in unserer Gesellschaft seit langem ihre Spuren. In den vergangenen Jahren und Jahrzenten wurden in Deutschland immer wieder Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer Religion, einer vermeintlich fremden Herkunft oder ihrer politischen Meinung bedroht oder ermordet. Die Amadeu Antonio Stiftung recherchierte, dass es allein zwischen 1990 und 2020 in Deutschland mindestens 213 Morde mit rechtsextremen Motiven gab.

Was ist Rechtsextremismus?

Aber was ist eigentlich gemeint, wenn von Rechtsextremismus die Rede ist? Jede*r kennt diesen Begriff und trotzdem fällt es vielen schwer, konkret zu beschreiben, was er bedeutet. Rechtsextremismus ist zunächst eine politische Weltanschauung. Dabei legt schon das Wort nahe, dass es sich um eine „extreme“ bzw. „extremistische“ Weltanschauung handelt, die sich explizit von einer „nicht-extremen“ Weltanschauung unterscheidet. Darüber erfährt man allerdings nicht genau, was denn nun „extrem“ ist. In der vielfach kritisierten sogenannten Hufeisentheorie wird davon ausgegangen, dass Rechtsextremismus abzugrenzen sei von einer „Mitte der Gesellschaft“. Das ist irreführend, denn es suggeriert, dass die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ keinerlei rechtsextreme Ideen vertreten würde. Außerdem impliziert die Theorie, dass  Rechtsextremismus und Linksextremismus – wie die Enden eines Hufeisens – sehr nahe beieinander liegen. Es soll dieser Theorie zufolge also keine Kritik linker oder rechter Ideen geleistet werden, stattdessen gilt das Postulat, dass „extreme“ Meinungen – ungeachtet ihres Inhalts – an sich das Problem seien. Historisch, spätestens aber seit dem Aufstieg von einer in Teilen rechtsextremen Partei in den letzten Jahren, muss allerdings die Vorstellung einer guten demokratischen Mitte kritisch hinterfragt werden. Denn auch dort, in der vermeintlich unverdächtigen „Mitte der Gesellschaft“, grassieren Vorurteile und Ungleichwertigkeitsvorstellungen.

Die extreme Rechte lehnt Menschenrechte, Menschenwürde und Gleichheitsideale ab

Es lohnt sich also, den Begriff des Rechtsextremismus inhaltlich präziser zu bestimmen: Rechtsextremismus ist einerseits durch eine (völkisch legitimierte) Ideologie der Ungleichwertigkeit charakterisiert und andererseits durch das Bestreben, diese mit autoritären Mitteln, etwa Zwang, Einschüchterung, Unterdrückung oder Manipulation, durchzusetzen. Das heißt konkret: Rechtsextreme bestimmen anhand von rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen, antifeministischen, politischen  und sozialdarwinistischen Zuschreibungen, wer zum „Volk“ gehört. Um den von ihnen imaginierten „Volkskörper“ zu schützen, spielen zudem rigide und traditionalistische Geschlechter- und Familienvorstellungen eine zentrale Rolle. In zweiter Instanz sind Rechtsextreme bereit, diese Ziele mit autoritären Mitteln, teils gar mit Gewalt, zu verfolgen. Die Grundlage hierfür bildet häufig eine grundsätzliche Feindschaft gegenüber demokratischen Prinzipien, wie etwa Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung.

Rechtsextreme lehnen also Menschenrechte, Menschenwürde und Gleichwertigkeitsideale ab und gehen entsprechend von einer naturwüchsigen Ungleichheit und Ungleichwertigkeit konstruierter Menschengruppen aus. Das wird häufig nicht so explizit formuliert. Denn Rechtsextreme unterscheiden sich stark in den Strategien, wie sie ihre Ziele erreichen wollen. Während einige – etwa parlamentarische Kräfte – die Konsequenzen ihrer rechtsextremen Ideen zu verschleiern versuchen, da Rechtsextremismus gemeinhin nach wie vor nicht als legitimes gesellschaftliches Gestaltungsprinzip betrachtet wird, setzen zum Beispiel pop- und jugendkulturelle Akteur*innen darauf, einen „rechtsextremen Lifestyle“ (etwa durch Kleidungsmarken, Musik, Social-Media-Content) gerade für junge Menschen anschlussfähig zu machen. Aktivistische Rechtsextreme hingegen zielen darauf ab, die Tabuisierung rechtsextremer Ideen ins Wanken zu bringen, während rechtsextreme Medienakteur*innen  auf gezielte Diskursverschiebungen hinarbeiten.

Zur Attraktivität des Rechtsextremismus

Sowohl die verschiedenen Ausdrucksformen des Rechtsextremismus als auch sein ideologischer Gehalt wirken auf Menschen – und zwar gerade auch auf junge Menschen – anziehend. Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit ist es der extremen Rechten gelungen, erneut eine rechtsextreme Jugendkultur zu etablieren, sodass eine rechtsextreme oder gar neo-nazistische Weltanschauung in einigen Regionen wieder offener und selbstbewusster von jungen Menschen formuliert und auch (sub)kulturell performt wird.

Extreme Rechte adressieren gezielt Jugendliche und schaffen Angebote für sie: Identitätsangebote, „Erklärungs“-Modelle, aber auch Freizeitangebote. Dazu gehören ein bestimmter Kleidungsstil, Musik und Social-Media-Content, aber auch rechtsextreme Vorstellungen von Geschlechterrollen und Weltanschauungen. Damit kann es sich für Jugendliche subjektiv so anfühlen, als würde ihnen der Rechtsextremismus helfen, reale Herausforderungen des Erwachsenwerdens zu bewältigen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine langfristig tragfähige Bewältigungsstrategie. Dennoch kann der Eintritt in die rechte Szene auf einer sozialpsychologischen Ebene für Jugendliche hilfreich und sinnstiftend wirken, auch wenn die Mitgliedschaft in rechtsextremen Strukturen gefährlich und destruktiv ist.

Die Faktoren, die junge Menschen dazu bewegen können, sich rechtsextremen Szenen zuzuwenden, sind vielfältig und individuell. In aller Regel spielen hierbei aber sowohl intrinsische Motive als auch äußere, soziale Faktoren eine Rolle. Zu den intrinsischen Motiven gehören etwa der Wunsch nach Anerkennung, Zugehörigkeit, Überlegenheit und Abgrenzung. Häufig kommt auch ein schon diffus vorhandener Hang zur Abwertung unterschiedlicher Gruppen dazu. Äußere Faktoren beziehen sich dagegen auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und sozialräumliche Spezifika sowie familiäre Erfahrungen. Wenn also Rechtsextremismus gesellschaftlich immer mehr Akzeptanz erfährt und zusätzlich im Sozialraum der Jugendlichen rechtsextreme Cliquen um Mitglieder werben, während es wenig oder keine alternativen Freizeitangebote gibt und in der Familie außerdem noch Gewalterfahrungen, ein autoritärer Erziehungsstil und eventuell instabile Beziehungserfahrungen, Beziehungsabbrüche oder Traumatisierungen zusammenkommen, sind das gewichtige Faktoren, die eine rechtsextreme Radikalisierung begünstigen.

Alternative Bewältigungsstrategien aufzeigen

Cultures Interactive e.V. ist daran gelegen, diese Dynamiken als Ganzes in den Blick zu nehmen, also zugleich bei subjektiven und äußeren Hinwendungsfaktoren anzusetzen, um mit Jugendlichen über ihre politischen Einstellungen ins Gespräch zu kommen. Deshalb ist unsere Arbeit an der Lebenswelt der Jugendlichen orientiert. Wir möchten mit Jugendlichen kritisch-zugewandt über ihre Alltagserfahrungen in den Austausch kommen, mit ihnen über ihre emotionalen und sozialen Belange sprechen und gegebenenfalls alternative Bewältigungsstrategien aufzeigen und erproben. In einer Zeit, in der rechtsextreme Akteur*innen und Diskurse allerorts an Dynamik gewinnen, in Institutionen drängen und eine auf Gleichwertigkeit und Pluralismus ausgerichtete Zivilgesellschaft – inklusive ihrer Angebote für Jugendliche – diffamieren, ist das wichtiger denn je.

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