Politische (Jugend)Bildung in heutiger Zeit muss den großen Vertrauensverlust und die tief empfundene Skepsis vieler (junger) Menschen gegenüber dem demokratisch-staatlichen Prozedere ernst nehmen – wie auch ihre Resignation über die zunehmende soziale Ungleichheit. Vor allem wird sie die wachsende Emotionalisierung und Verrohung der öffentlichen Sprache in- und außerhalb der Sozialen Medien – und die sich daraus oft ergebende Demokratie- und Menschenfeindlichkeit – beachten und Wege der persönlichen Auseinandersetzung mit diesen abträglichen Affekten suchen.

Viele herkömmliche Bildungsmethoden erweisen sich jedoch bei Affekten, Emotionen und Befindlichkeiten als nicht wirksam genug. Insbesondere wenn diejenigen jungen Menschen erreicht werden sollen, die sich schon weit von einem demokratischen Werteverständnis und Lebenshabitus entfernt haben – etwa weil das ihrer Umgebung entspricht und sie herausfordernde soziale Vorbedingungen zu bewältigen haben oder weil sie von schwierigen persönlichen Entwicklungsaufgaben belastet sind.

Einen persönlichen Zugang zum Politischen herstellen

Demgegenüber kann eine intensivpädagogische politische (Jugend)Bildung eine Förderung von emotionaler politischer Intelligenz und eine Kultivierung der politischen Affekte und Emotionen bewirken – und somit persönliche Fähigkeiten und Motivationen schaffen, die für eine demokratische und menschenrechtliche Lebenspraxis und gesellschaftliches Engagement ausschlaggebend sind. Sie tut dies, indem sie einen vertieft persönlichen und authentischen Zugang jeder*jedes Einzelnen zum sogenannten Politischen herstellt – was durch einen lebensweltlichen Fokus sowie mittels erfahrungshaltiger und biographisch-narrativer Methodik erfolgt.

Diese intensivpädagogische Herangehensweise an politische Bildung verbindet zwei benachbarte, sich aber oft noch unverbunden gegenüberstehende Handlungsbereiche: den Bereich von Bildung und Schule einerseits und den Bereich der anlassbezogenen individuellen Intervention beziehungsweise der präventiven psychosozialen Beratung/ Psychotherapie andererseits – gemäß des Konzepts der ersten Professur für Intensivpädagogik, die seit 2015 von Prof. Dr. Menno Baumann geführt wird.  

Ein interdisziplinärer Ansatz

Intensivpädagogische politische Bildung spannt somit immer einen interdisziplinären, bereichsübergreifenden Rahmen auf – und sie arbeitet stets in enger kommunaler Verzahnung, die beispielsweise die Handlungsfelder der Familien- sowie Kinder- und Jugendhilfe mit einbezieht.

Wer nämlich an einer Oberschule in einer ländlichen Kommune etwa in Ostdeutschland einen Schulprojekttag der politischen Bildung durchführen möchte oder entsprechenden curricularen Klassenunterricht halten will, stellt schnell fest, dass dort innerhalb ein und derselben sozialen Sphäre unterschiedlichste Bedarfe vorliegen. Diese reichen von der politischen Bildung im engeren Sinn – historisch-politische Aufklärung, sachliche Information, Empowerment/Engagement-Förderung, interkulturelle Verständigung und Mediation etc. – bis hin zu individuellen Bedarfen der anlassbezogenen Beratung/ Interventionen für persönliche Weiterentwicklung. Letztere können zum Beispiel psychotherapeutische/sozialpsychiatrische und andere Angebote der Kinder-, Jugend- oder Familienhilfe umfassen, gegebenenfalls auch die Distanzierungs- oder Ausstiegsarbeit, Beratung bei Substanzabhängigkeit und Sucht, Verschwörungsgläubigkeit, sexualisierter Gewalt oder spirituellem Machtmissbrauch und anderes mehr.

Den Weg für ein demokratisches und sozialverantwortliches Bewusstsein ebnen

Der Blick auf diese zwei Sorten von Bedarfen – politische Bildung einerseits und persönlicher Intervention/Beratung andererseits – ist schon deshalb wichtig, weil sie sich wechselseitig verstärken können, was die Risiken erhöht. Denn akute familiäre und psychosoziale Belastungen können, zumal wenn sie lange Zeit unversorgt bleiben, auch politische Affekte der Menschen- und Demokratiefeindlichkeit verursachen. Hingegen kann deren Linderung und Vorbeugung durch nachhaltige Intervention/Beratung den Weg für ein demokratisches und sozialverantwortliches Bewusstsein ebnen. Dies schon deshalb, weil Prozesse der persönlichen Entwicklung und Beratung allen Formen von Vertrauensverlust und Resignation vorbeugt, was Menschen auch davor bewahren kann, „die demokratischen Nerven zu verlieren“.

Intensivpädagogische politische (Jugend)Bildung beugt also sowohl psychologischen und sozialen als auch politischen und sicherheitsbezogenen Risiken vor – und sie löst ein, was seit einiger Zeit allzu vage und unentschlossen unter dem Thema „Politische Bildung und Emotion“ diskutiert wird.

Dabei muss die interdisziplinäre Verzahnung vor Ort über einen bloßen Verweismechanismus zwischen den kommunalen Akteuren hinausgehen. Vielmehr sind integrale, multi-methodische Verfahrens-Hybride aus politischer Bildung und Beratung beziehungsweise Intervention erforderlich, die in natürlichen Sozialkontexten wie beispielsweise in Schulen und ihrem kommunalen Umfeld gut zum Tragen kommen können.

Ein Beispiel hierfür sind die bei Cultures Interactive entwickelten Narrativen Gesprächsgruppen, die ein erzähl- und dialogbildendes Verfahren mit nachhaltigen Wirkungen auf eine demokratische Persönlichkeitsentwicklung darstellt. Wesentliche Elemente dieser – intensivpädagogischen – Methode werden aus der Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik bezogen und die darin eingesetzte Techniken der Gesprächsrahmung und Moderation entstammen der Narratologie beziehungsweise der Methode des biografisch-narrativen Interviews. Ein zentraler Faktor der nachhaltigen Wirkung sind die Schnittstellen zur Jugend- und Familienhilfe sowie weiteren kommunalen Angeboten und zur systemischen „Schulberatung von unten“ aus der Perspektive der Schüler*innen sowie letztlich zum Fachunterricht (beispielsweise für Geschichte, Ethik, Soziales und Gesellschaftliches).

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